Zum Leiden berufen?

Einleitung

Palmsonntag ist wie der 1. Advent: Wir feiern die Ankunft Jesu Christi. In vielen römisch-katholischen Kirchen wird an diesem Tag Jesus begrüßt wie wir es in der Lesung aus dem Johannesevangelium gerade gehört: Palmenzweige werden gesammelt und mit ihnen zieht die Gemeinde gemeinsam mit Christus ein.

Im Advent wie am heutigen Tage stellt sich dabei aber auch die Frage: Wer ist der, der da einzieht? Was ist das für ein König und für ein Gottesmann? Und während man die Weihnachtsgeschichte nur schwer missverstehen kann: "Ein Baby ist ein Baby ist ein Mensch", sieht das Palmsonntag deutlich anders aus. Ja, Palmsonntag ist eigentlich Erzählung davon, dass alle, einschließlich seiner Feinde, ihn falsch gesehen, falsch verstanden haben und ihn begrüßt haben wie einen weltlichen Herrscher.

Und so ist die Frage für den Palmsonntag auch: Was ist ein Gottesmann? Was macht ihn aus? Und etwas gendergerechter, für unsere heutige Zeit? Was macht eine Gottesfrau, einen Gottesmenschen aus?

Diese Frage haben Menschen schon einige Jahrhunderte vor Jesus beantwortet, nämlich beim Propheten Jesaja. In seinen sogenannten Gottesknechtsliedern. Das dritte davon lese ich Ihnen und euch jetzt als Predigttext vor:

Lesung Jesaja 50,4-9

Zum Leiden berufen?

Wenn wir diese Worte hören, wird schnell verständlich warum Menschen nach Jesus diese Worte auf ihn bezogen haben: Er war Gott gehorsam, er musste leiden, er wurde angespuckt, er war gerecht und wurde gerecht gesprochen. Das ist eine Folie, eine Blaupause, die passt.

Das ist aber nicht die ursprüngliche Folie. Ursprünglich wurde damit eine andere Person beschrieben, die Gottes Willen befolgte, nach seinen Weisungen lebte und sie weiter gab. Das meint übrigens das Wort "Knecht" in "Gottesknecht". Also nicht jemand, der sich knechten lässt, sondern jemand, der oder die sich in den Dienst Gottes stellt.

Wer genau das war, ist unter Exegetinnen und Exegeten sehr umstritten. Es könnte der Prophet Jesaja sein, es könnte ein ihm nachfolgender Prophet gewesen sein. Es könnte der damalige Perserkönig Kyros gewesen sein. Oder jemand anders, der sich in den Dienst Gottes stellt oder auf den die Menschen noch warteten und hofften.

Da dieser Text aber so offen ist, betrifft er am Ende viel mehr Menschen. Für mich, der ich bisweilen als Mann Gottes gesehen werde, ist das in gewisser Weise ein sehr persönlicher Text. Aber eigentlich betrifft er mindestens alle Christinnen und Christen, alle die Christus nachfolgen. Denn wir sind in gleicher Weise Menschen, die sich von Gott berufen fühlen dürfen, auf Gottes Wegen zu gehen.

Und die größte Frage, die ich in diesem Text lese, gerade, wenn wir ihn heute lesen, also zu Beginn der Karwoche, ist: Sind Christinnen und Christen eigentlich zum Leiden berufen? Gehört das Leid zum Leben von Christinnen und Christen dazu.

Das ist eine Frage, die mich oft beschäftigt hat und die von manchen Christinnen und Christen auch sehr deutlich mit "ja" beantwortet wird.

Der Vers 6 weist am stärksten in diese Richtung: "Als sie mich schlugen, habe ich ihnen den Rücken dargeboten. Als sie mir den Bart ausrissen, habe ich meine Wangen hingehalten. Mein Gesicht habe ich nicht verhüllt, als sie mich beschimpften und anspuckten."

Müssen wir auch so leiden? Unser Kreuz auf uns nehmen und Christus im Leiden nachfolgen, wie man Matthäus 16,24 (Lukas 9,23) verstehen kann?

Ich glaube erst einmal: Nein. Es gibt keine Berufung von Christinnen und Christen, von Gottesfrauen und Gottesmännern zum Leiden. Wir sind zu vielen sehr schönen, sehr starken, sehr wichtigen Dingen berufen: Wir sind berufen Frieden zu bringen, Kranke zu heilen, von der Nähe Gottes mit seinen Menschen zu sprechen, zu erzählen, was Jesus gesagt und Menschen zu taufen, so erzählen es etwa Lukas 10 und Matthäus 28.

In all dem ist keine Berufung zum Leid und zum Leiden zu finden. Und gerade die Reformatoren haben betont, dass das Leiden und Sterben Jesu Christi ein für alle Mal stattgefunden hat (Hebr. 7,27) - das brauchen wir nicht zu wiederholen und können wir nicht wiederholen.

Gott, ist ein Gott, der das Gute will. Frieden, Heil und Heilung - für alle Menschen und erst recht für die, die ihm nachfolgen. Es gibt also keine Berufung zum Leiden. Das finde ich zuerst einmal wichtig. Gerade deshalb, weil es unser Bild von Gott prägt und ausdrückt: Was sollte das für ein Vater sein, der seine Kinder quälen möchten?

Aber, und das ist das große Aber: Wir müssen feststellen, dass es auf dieser Welt Leid gibt. Sehr viel Leid. Das gibt es übrigens ganz unabhängig davon, ob man nun an Gott glaubt oder nicht: Das müssen wir nicht hinnehmen, aber wir werden erst einmal wahrnehmen müssen, dass diese Welt voller Leid ist.

Zur Liebe berufen!

Und da kommt das andere ins Spiel: Wie Christus sind wir als Christinnen und Christen zur Liebe berufen. Wir sind dazu berufen, Gott zu lieben und unseren Nächsten wie uns selbst. Und zur Liebe gehört Leidenschaft. Nicht die Leidenschaft von Rosamunde Pilcher und Groschen-Romanen, sondern die Leidenschaft, die auch die Konsequenzen von Liebe kennt und in Kauf nimmt.

Wer mit ganzem Herzen bei der Sache ist, wird nicht einfach aufhören, wenn es schwierig wird. Natürlich muss man nicht jeden Kampf kämpfen, aber als Christ überlege ich mir gut, wann es wert ist, für eine Sache, einen Menschen, ein Stück Liebe einzustehen. Das finde ich in dem Gottesknechtslied in Vers 7, wo es heißt:

"Aber Gott, der Herr, steht mir bei. Darum lasse ich mich nicht einschüchtern. Ich mache mein Gesicht hart wie einen Kieselstein. Denn ich weiß, dass ich nicht enttäuscht werde."

Manche Dinge stehen wir durch. Weil sie richtig sind, weil sie wichtig sind, weil sie der Liebe dienen. Nie wieder, haben wir gesagt, sollen Menschen in unserer Gesellschaft wegen ihrer Religion, Nation, wegen ihres Körpers, ihres Geschlechts verfolgt, verhaftet und getötet werden. Dafür stehen wir ein. Wie viele stehen dafür, dass Kranke gepflegt werden, Sterbenden geholfen wird. Dass wir für Mütter da sind, die gerade ein Kind geboren haben und dass wir unsere Sterbenden so pflegen, dass sie gut begleitet und Frieden gehen können. Nichts davon ist leicht. Manchmal braucht es einen sehr starken Rücken und Gesicht, hart wie Kieselstein, das durchhält. Aber das ist Liebe. Nicht die Rosamunde-Pilcher-Liebe, sondern die Liebe Gottes, die uns Jesus Christus gezeigt hat.

Zu dieser Liebe sind wir berufen und aus dieser Liebe leben wir.

Im Vertrauen gestärkt

Manche Herausforderungen schaffen wir nicht aus uns selbst. Wir schaffen sie nur, wenn andere uns Mut zusprechen, wenn Gott uns Mut zuspricht. Wir schaffen es nur im Vertrauen auf seine Kraft. Das ist der letzte und dritte große Teil des Gottesknechtsliedes in Vers 8: "Gott ist mir nahe, er setzt mein Recht durch. Wer will mich da noch anklagen? Der soll ruhig mit mir vor Gericht ziehen!" Es sind Worte des vollkommenen Vertrauens in Gott. Dass Gott am Ende auch das Gerechtigkeit herstellt, wo wir das noch nicht sehen. Dass er da Leben schafft, wo wir noch keines Sehen. Dass aus Karfreitag Ostern wird - so unwahrscheinlich das auch ist.

Gott schenkt uns eine Kraft und ein Vertrauen, die wir jeden Morgen neu bekommen. Christinnen und Christen sind "Morgenmenschen" schrieb eine Auslegerin und das finde ich einen tollen Ausdruck. Wir sind nicht Menschen, die zurückschauen (Lukas 9,62), für die früher alles besser war und die bejammern wie schlimm heute alles war. Sondern, die nach vorne schauen. Auf den Morgen hoffen. Und darauf, dass Gott den neuen Tag schafft, so wie er für uns Kraft und Liebe schafft. Genug, um die Aufgaben des Tages zu schaffen. Um als Berufene Gottes zu leben: Für die Liebe, dazu "dem Erschöpften ein Wort zusprechen, das ihm Mut macht."

Wer zieht da ein?

Das ist das Vorbild von dem, der da Palmsonntag einzieht: Jesus lebt die Liebe konsequent bis zum Schluss. Er lebt die göttliche Liebe wie nur er das konnte, deswegen leidet und stirbt er dann auch - für uns. Das brauchen wir nicht zu tun. Aber wir können aus seiner Liebe leben. Amen.