Wenn die Liebe bestimmen dürfte…
Vorab:
- Lesung des Evangeliums Mt 23,1-12
- Halleluja!
Ansprache zum Gottesdienst beim Schützenfest in Alt-Walsum am 5. Juli 2025
Liebe Schützinnen und Schützen, liebes Königspaar, lieber Hofstaat, liebe Mitglieder der Walsumer Kirchengemeinden,
ich grüße Sie und freue mich heute hier zu sein. Grüße auch von meiner Kollegin, die ich heute urlaubsbedingt vertrete.
Pater Joseph und ich haben uns gerade schon ausgetauscht und festgestellt: Er hat mehr Erfahrung mit Schützenfesten als ich. Ich hab vom Schützenwesen praktisch keine Ahnung.
Mir persönlich macht das nichts, denn offensichtlich sind Sie und wir Christenmenschen, die das gemeinsame Leben in Alt-Walsum und Umgebung gestalten und da ist es schön, dass wir uns zum Gottesdienst hier treffen.
In der Vorbereitung auf dieses Fest habe ich dann von der Geschichte des Schützenwesens gelesen. Dabei habe ich festgestellt, dass die Schützenvereine im früheren Zeiten bürgerliche Schutzvereine für das zivile Leben waren, also so etwas wie polizeiliche Funktionen wahrgenommen haben. Und dabei spielten sie durchaus in politischen Entwicklungen ein Rolle.
Besonders im politischen Vor-März. In der Zeit des 19. Jahrhunderts also, als die konservativen Mächte Preußen und Österreich den fürstlichen Obrigkeitsstaat behalten wollten. Dagegen traten Schützenvereine mit vielen anderen Vereinen für die Idee einer nationalen Demokratie ein. Sie hatten also eine Idee von Herrschaft, die größer war als die Kleinstaaterei, als das feudale System im vergangenen Römischen Reich deutscher Nation.
So viel der Theorie der Vorzeit. Heute finde ich mich wieder in einer Welt, die immer stärker wieder von Fürsten, von Egomanen und Autokraten beherrscht wird. Und da finde ich es gut, dass wir uns als Menschen zusammentun, die für den Zusammenhalt in unsere Gesellschaft stehen. Und: Für größere Werte als Egoismus und den Reichtum einzelner.
Denn diese, die größeren, die schöneren Werte sollten für uns als Christinnen und Christen unter uns das sagen haben.
So sah es auch meine Tochter neulich. Ich war nämlich ein Schütze und wollte unsere Katzen schützen.
Wir haben seit gut einem Jahr zwei so possierliche Tierchen und die Kinder meinen es nur zu gut mit ihnen. Die Katze hatte sich gerade versteckt, doch meine Tochter, sie ist 7 Jahre alt, fand sie und zog sie aus ihrem Versteck. Die Katze, beide Vorderpfoten an dem Regal aus dem sie gezogen wurde, hatte einfach nicht genug Kraft und wurde von dem Regal gepflückt. Erst machte es "Skrieetsch", dann "pflompt" und dann hatte meine Tochter die Katze im Arm. Daraufhin sagte ich zu meiner Tochter: "Wenn du die Katze nicht bald ordentlich behandelst, dann bekommst du Katzenverbot!" Meine Tochter entgegnete entrüstet: "Das kannst du gar nicht bestimmen! Dafür hast du gar nicht genug Liebe für die Katzen!"
"Du hast gar nicht genug Liebe für die Katzen!" Was für ein starkes Argument!
Ich gab mich geschlagen und überlegte dann, wie wäre das denn bei uns: Wenn nur die bestimmen dürften, die genug Liebe für eine Sache oder für eine Menschengruppe hätten? Wie wäre das, wenn nur die Liebe bestimmen dürfte?
Wenn die Liebe bestimmen dürfte, dann wäre unser Garten z.B. ein Katzenparadies. Überall würden sie spielen und sich wohlfühlen können. In unserem Garten ginge es Katzen und Kindern gleichermaßen gut.
Wenn die Liebe bestimmen dürfte, dann würden in unserem Garten aber auch keine Mäuse und keine Tauben mehr gefressen, sondern Tofu-Kugeln und Karottennassfutter. So viel Liebe muss sein.
Wenn die Liebe bestimmen dürfte, dann hätten Frauen großen Einfluss für das Wohl ihrer Kinder zu sorgen. Und Frauen und Männer müssten nur so wenig arbeiten, dass sie Nachmittags Zeit und Kraft und Geduld für ihre Kinder haben und sie würden kein Katzenverbot erteilen und – niemand würde ihnen vorwerfen sie seien zu faul.
Wenn die Liebe bestimmen dürfte, dann hätten unsere Kinder funktionierende Kindergärten und Schulen. Ein Antrag, einen Kindergarten neu zu bauen, würde nicht Monate dauern, sondern Wochen, denn es wäre das Wichtigste, was die Politik zu tun hätte.
Wenn die Liebe bestimmen dürfte, dann würden in unserem Land Amazon, Google, Facebook und Apple freiwillig Steuern zahlen so viel sie können, denn davon würden wunderschöne Kindergärten und Schulen gebaut und wir müssten nicht bei jedem Quadratmeter pro Kind noch rechnen, ob wir den denn bezahlt bekommen.
Wenn die Liebe bestimmen dürfte, dann gäbe es kein hitzefrei, denn unsere Kinder gingen bei Hitze freiwillig in die Schule, weil es dort die besten Klimaanlagen, die schönsten Wasserspielplätze und schöne, große Schwimmbäder gäbe.
Wenn die Liebe bestimmen dürfte, dann würden nicht alte Männer regieren, die Waffen bauen und Autobahnen und Autos, die mit dreckigem Öl fahren. Sondern es würden Frauen regieren, gerne auch alte, die unsere Städte begrünen. Und in den Hitzewellen wären unsere grünen Dächer 30 Grad weniger heiß und unsere Straßen 2,5 Grad weniger heißt und weniger schlimm zu ertragen - so wie das in Paris diese Woche schon war.
Wenn die Liebe bestimmen dürfte, dann hätten wir keinen Papst, sondern eine Päpstin! Und ihr Name wäre Miserikordia und sie hätte so viele Kinder wie Elon Musk! Aber mit schönen, mit liebevollen Namen.
Wenn die Liebe bestimmen dürfte, dann wäre "Zirkuszelt" kein Schimpfwort, sondern unsere Schulen würden jedes Jahr ein Zirkusprojekt veranstalten und dort würden Kinder sich verwirklichen und erleben. Sie würden Freude haben, neue Fähigkeiten entdecken und Selbstwirksamkeit erfahren und würden groß und stark und stolz. Und dann würden sie mit den Zirkusleuten auf Reise gehen und würden sehen wie bunt und wie schön unsere Welt von Gott gemacht ist und wie bunt und wie freundlich ihre Menschen.
Wenn die Liebe bestimmen dürfte, dann wehte die Regenbogenfahne auf jedem politischen Gebäude, auf jeder Kirche und in jedem Garten in unserem Land und in Europa. Und unsere Kinder und Frauen und Lesben, Schwule und Menschen mit Transidentität, Jüdinnen und Juden, Menschen mit Behinderungen und Schwarze und Ausländer und deren Kinder alle - sie alle würden sich bei uns so sicher fühlen wie in Abrahams Schoß. Denn bunt und vielfältig ist Gottes Erde und seine Geschöpfe und deswegen nahm Noah sie alle mit auf die Arche und rettete sie. Und deswegen gibt es den Regenbogen. –
"Wenn die Liebe bestimmen dürfte": Jesus spricht mit seinen Jüngerinnen und Jüngern und mit den Herrschenden seiner Zeit. Und nicht der soll Rabbi und Meister sein, der am meisten her macht, am meisten andere unterdrückt ohne selbst von den Auflagen betroffen zu sein.
Sondern der oder die soll Herrin, Meisterin und Rabbi sein, die den anderen am meisten dient. Denn nicht Macht, sondern Glaube, Hoffnung und Liebe bleiben und die Liebe ist die größte unter ihnen, sagt der Apostel Paulus (1. Korinther 13,13). Die Liebe soll bestimmen!
Liebe Schützinnen und Schützen, liebe Mitchristinnen und Christen. Wir sind hier. Sie haben sogar eine Königin und einen König. An diesem Wochenende ist das Feiern dran. Dafür sind Wochenende da. Ich wünsche Ihnen ein frohes und gesegnetes Fest.
Aber nach dem Wochenende, in unserem Alltag: Überlassen wir nicht anderen, unsere Gesellschaft zu gestalten nach Vorstellungen, die wir selbst nicht ertragen würden, wenn sie uns betreffen würden.
Lassen Sie uns aufhören zu träumen. Nicht dürfte, hätte, könnte, sondern jetzt und heute Schritte der Liebe gehen und unsere Gemeinschaft so gestalten, dass sie gut ist und dass sie sicher ist – für alle.
Einen letzten habe ich noch.
Die Liebe bestimmt. Und Gott selbst, der die Liebe ist, gibt sich aus Liebe hin. Und da hängt sie am Kreuz. Und sie wartet darauf, dass Menschen sie sehen, sie erkennen und ihr nachfolgen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unser menschliches Verstehen und Wollen, der bewahre unsere Herzen und Sinne Christus Jesus, die sichtbare Liebe Gottes. Amen.